Hochkarätiger Einsatz für aktiven Klimaschutz mit KüstenTon
15. Juni 2014, hjr

Unter dem Namen „KüstenTon“ präsentierten sich die seit 2011 von dem Bratschisten Wolfgang Hinzpeter organisierten Westküsten-Kammermusiktage dieses Jahr neu. „KüstenTon“ steht für die Kooperation der NaturTon-Stiftung der Staatskapelle Berlin und der Schutzstation Wattenmeer. Die Berliner Musiker waren zugunsten des Weltnaturerbes extra nach Eiderstedt gekommen. Sie trafen sich am Wochenende zu Benefizkonzerten in der Kirche St. Stephanus in Westerhever und im Dünen-Hus in St. Peter-Ording. Als Schirmherr war mit ihnen Professor Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber, Physiker und Leiter des Instituts für Klimafolgenforschung Potsdam, ebenfalls extra angereist. Er sprach im Dünen-Hus unter dem Titel „Meer und mehr Nachhaltigkeit“ zum Thema Erderwärmung, Meeresspiegelanstieg und Zukunftsperspektiven. Seit 20 Jahren wird Schellnhuber in Sachen Klimaschutz weltweit konsultiert. Erst kürzlich erfolgte durch Papst Franziskus seine Aufnahme in die Pontifikalakademie der Wissenschaften zur Bewahrung der Schöpfung.

JB-2014: 4. Kammermusiktage - W. Hinzpeter

JB-2014: Musiker der Staatskapelle Berlin

Wolfgang Hinzpeter begrüßte und wünschte für diese Verbindung von Natur und Ton im Wechsel von Kammermusik und Naturwissenschaft ein schönes Konzert und einen inspirierenden Vortrag. Zum Auftakt erklang das Allegro des Hornquintetts in Es-Dur KV 407 von Wolfgang Amadeus Mozart, gespielt von Markus Bruggaier (Horn), Andreas Jentzsch (Violine), Joost Keizer und Wolfgang Hinzpeter (jeweils Bratsche) sowie Aleisha Verner (Cello). Nichts hätte besser passen können, spielen sich doch Horn und Violine in diesem Eingangssatz ein Mollthema zu.

Hans Joachim Schellnhuber wagte es dann, den Klanggenuss bei diesem interessanten künstlerisch wissenschaftlichen Experiment „zu stören und zu unterbrechen“. Klima, Umweltzerstörung und Meeresanstieg sollten zur Sprache kommen. 1993 hatte es die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung dazu gegeben. Da sei er, „über die Thematik des Meeresspiegelanstiegs“ bei seinen Forschungsarbeiten über Flachmeere so „hineingeschliddert“ und danach im Zuge eines Auftrages des Forschungsministeriums über Klimaänderung und Auswirkungen auf die Küsten „vor Ort in Ostfriesland ins Wattenmeer hineingestolpert“. Der Meeresspiegelanstieg werde auch Eiderstedt ereilen. Zwei bis drei Millimeter Anstieg pro Jahr seien keine Laune der Natur. So bestünde denn auch für St. Peter-Ording ein Zusammenhang mit dem Rest der Welt. Und weil Eiderstedt eben nicht die ganze Welt sei, würde es trotzdem dazu gehören. Dann zitierte er Papst Franziskus. Der hatte in einer bemerkenswerten Rede gesagt: „Wenn wir die Schöpfung zerstören, wird sie uns zerstören.“ Selber fügte er dann wenig später schlicht erklärend hinzu: „Es reicht nicht zu sagen: Die anderen sollen an die Zukunft denken. – Nein, wir müssen!“

JB-2014: Fagottquartett mit Holger Straube

Nachdenklich hatte Hans Joachim Schellnhuber schon jetzt gemacht. Das Fagottquartett Opus 46,1 (1804) von Franz Krommer (1759-1831) mit Holger Straube auf dem Fagott, zwei Bratschen und Cello schaffte Innehalten und leitete über zum „Hauptgericht“.

In einem höchst interessanten historischen Bogen von der Eiszeit bis heute stellte Prof. Schellnhuber in schlichter und eindrucksvoller Weise naturwissenschaftliche Grundlagen vor. Mit ihnen zeigte er auf, wie seit Beginn der Sesshaftigkeit vor 15000 Jahren die Erdbevölkerung zugenommen hat und wie sich ihr Handeln seit der industriellen Revolution in der Kohlenstoff-Story der menschlichen Zivilisation zerstörend auf die Umwelt ausgewirkt hat. „Physik ist Realität. Darauf beruht die technische Zivilisation“, so sagte er. Wenn wir so weiter machten wie bisher, werde die Temperatur bis 2100 um 4° bis 5°C steigen. Ein Meeresspiegelanstieg um 20 m wäre unser Ende. Gelänge es hingegen, den Temperaturanstieg auf 2°C zu begrenzen, bedeutete das immer noch einen globalen Meeresspiegelanstieg um eineinhalb Meter. Geophysikalische Gesetze lassen das mit 95-98%iger Wahrscheinlichkeit voraussagen. In der Westantarktis hat offenbar bereits ein unumkehrbares Abschmelzen des Eises eingesetzt.

JB-2014:Oboenquartett

Das Oboenquartett in F-Dur KV 370 von Mozart mit Fabian Schäfer auf der Oboe gemeinsam mit Violine, Bratsche und Cello schaffte wieder gedanklichen Abstand. Mitten im für die Oboe besonders virtuosen Rondo wechselt sie für kurze Zeit in den Viervierteltakt, die Streicher aber bleiben im Sechsachtel, ein Bespiel für Polyrhythmik. Zufall oder Absicht bei der Auswahl der Musikstücke?- Wie ist es denn mit unserem Einklang mit der Natur bestellt?

Ausgehend von der Frage „Was können wir tun?“ nahm Prof. Schellnhuber auf die Debatte mit Mitgliedern der Bürgerinitiative gegen Verpressung von CO2 und Fracking vor Beginn der Veranstaltung Bezug und plädierte für eine große globale Transformation zur Nachhaltigkeit. Deutschland habe gezeigt, dass der Tagesenergiebedarf über Photovoltaik und Windenergie gedeckt werden kann. In diesem Jahr startet die 20. große Klimakonferenz in Lima. Die Welt aber werde nicht auf dem diplomatischen Parkett gerettet. Die Zivilgesellschaft kann dafür den inneren Druck erhöhen. Die Verantwortung jedoch liege beim Einzelnen. Wer nicht will, dass irgendwo weit weg auf der Erde wegen des Meeresspiegelanstiegs Menschen ertrinken , der muss aus schierer Einsicht „Solidarität mit Unbekannt“ üben. „Fernstenliebe“ nannte er das. Und doch ist es Nächstenliebe. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit brachte er es so auf den Punkt: In der Wirtschaft gilt: „Töte deine Kunden nicht!“ Für uns alle muss gelten: „Tötet eure Kinder nicht!“ - Deutlicher ging es nicht.

Besser hätte man den Abschluss dann nicht gestalten können als mit den beiden noch ausstehenden Sätzen des Hornquintetts zu Beginn. So konnte sich das beeindruckte Publikum erst ganz dem serenadenhaften Andante mit sanfter Kantilene und danach dem mit typischem Hornruf eingeleiteten Rondo hingeben.


Sabine Gettner, Leiterin des Nationalparkhauses in der Dünen-Therme, dankte im Namen der Schutzstation Wattenmeer. Sie ist Nutznießer dieses Benefizkonzertes, bei dem alle Beteiligten auf ihre Gage verzichtet haben. Der Erlös aus dem Kartenverkauf geht ausschließlich in Projekte der Schutzstation. Leider entsprach die Besucheranzahl nicht den erhofften Erwartungen. Das Engagement der Musiker und das von Prof. Schellnhuber hätte eine weitaus größere Beteiligung verdient gehabt.




Nach einem kurzen Empfang im Nationalparkhaus ging es mit dem Hitzlöper zum Strandübergang Köhlbrand. Naturerlebnis pur erlebten die Teilnehmer an der geführten Dünenwanderung. Was hinter dem „die Schöpfung bewahren“ steht, war direkt zu erleben. Das war schon am Vortag in Westerhever so gewesen. Dort gab es eine Führung auf den Leuchtturm. Vorher hatte das Berliner Bläsertrio in der Kirche mit Tibor Reman (Klarinette), Fabian Schäfer (Oboe) und Holger Straube (Fagott) Werke von Mozart, Trygve Madsen, Victor Bruns und Erwin Schulhoff aufgeführt.

Anmerkung des Autors
Mit diesem Bericht - Ausgangstext für den in den Husumer Nachrichten am 17. Juni veröffentlichten Artikel - habe ich versucht, die zauberhaft von den Solisten und dem Tilia-Quartett dargebrachten Kompositionen von Mozart und Krommer in Beziehung zu setzen zu der ausgezeichneten und in ihrer Schlichtheit beeindruckenden Darstellung durch Professoer Dr. Schellnhuber. Schwerpunkt aber war die Darstellung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der Folgerungen daraus für unser Handeln.

Siehe auch:
HN, Seite 10 vom 17. Juni 2014 „Jeder einzelne hat Verantwortung“
Jahrbuch St. Peter-Ording www.jb-spo.de / Aktuell 2014 / Juni „Kammermusik und Klimaschutz Teil 1“,
April „CCS und Fracking“;
März„Naturschutz und Tourismus“,
Februar „Nationalparkhaus in der Dünen-Therme“ und
2013 Dezember „Kinder im Nationalparkhaus“ und
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