JB-2014:Auslandskorrespondent Jürgen Bertram und F

„China im Orkan des Wandels“ – Vortrag im MLE
31. Mai 2014, hjr

Der Zeitpunkt für diesen Vortrag war wie geschaffen!- Vor 25 Jahren schlug das chinesische Militär am 4. Juni 1989 auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking die Proteste der Bevölkerung nieder. Diese hatten sich aus einer Demokratiebewegung, ursprünglich von Studenten geprägt, entwickelt. Mehr als eine Million Bürger waren 1989 bei den Demonstrationen auf der Straße. Über 2000 Tote, vor allem junge Menschen, waren zu beklagen.

Auch darauf ging Jürgen Bertram in seinem Vortrag „China im Orkan des Wandels“ in der Veranstaltungsreihe „Literatur und Musik unter Reet“ des Vereins KulturTreff e.V. im Museum Landschaft Eiderstedt (MLE) in der Olsdorfer Straße ein. Der Journalist lebt mit seiner Frau seit 1967 in Hamburg. Mit ihr war er von 1982 zunächst für acht Jahre in Peking und danach fünf Jahre in Singapur, wo er als Auslandskorrespondent für die ARD arbeitete. Von 1995 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 war er Leiter der Abteilung „Zeitgeschehen“ im NDR.




China, so Bertram, habe mit seiner 5000jährigen Geschichte und den gewaltigen geographischen Dimensionen, mit seinen 1,3 Milliarden Menschen und dem gigantischen wirtschaftlichen Boom auf uns eine magische Wirkung. Doch nicht Verklärung sondern Aufklärung sei deswegen angesagt. „Größe“ sei eines der Schlüsselworte. Und wörtlich: „Dieses Land begreift sich nicht nur geographisch, sondern auch kulturell als Mittelpunkt der Welt.“ Nach Zeiten kolonialer Demütigung und nachfolgend maoistischer Experimente steht China heute ökonomisch super erfolgreich an der Spitze im globalen Weltmarktgeschehen.

Den Weg in kürzester Zeit dahin machte Bertram überaus interessant deutlich. Wo 1985 noch mitten in Peking ein Pferdefuhrwerk Milchkannen transportierte, wo Tausende von Fahrrädern das Straßenbild bestimmten, auch mal ein Auto zu sehen war, hat sich diese Schotterstraße innerhalb weniger Jahre in eine sechsspurige Autobahn verwandelt. Von dem Markt, auf dem Frauen verkauft haben, ist nichts mehr zu sehen. Hochhaus neben Hochhaus – urban zeigt sich das Land nicht nur da heute. „Ratz-Fatz“ ginge es über die Zerstörungswut von Abrissbirne und Presslufthämmern in eine hochmoderne urbanisierte Gegenwart. Diese und die Erinnerung an die Zeit davor verdichteten sich „zu einer verwirrenden Mixtur“.
Diesen orkanartigen Wandel erklärend, informierte der Referent über den am Diesseits orientierten Konfuzianismus als ein kulturelles Fundament, den Pragmatismus des Chinesen, gekoppelt mit List als Mischung aus Raffinement und Schlichtheit, die politische Gegenwart mit der einen Partei und ihren Kadern und der herrschenden Korruption, die hierarchische Struktur ohne Gewaltenteilung und mehr. Es gibt in diesem kommunistischen Land (!) heute 3220 chinesische Multimillionäre (!). 91% von ihnen sind Söhne und Töchter höherer Parteikader. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Täglich gibt es 500 Protestaktionen. Der Wirtschaftsboom ist fragil. Eine ökologische Katastrophe drohe.

In der sich anschließenden Diskussionsrunde beantworteten Jürgen und Helga Bertram gemeinsam die Fragen aus der Publikumsrunde. Leben bei ständiger Gegenwart von staatlicher Kontrolle, ein-Kind-Politik, Missbrauch durch unkontrollierte Machthaber, Konsequenzen für die Zukunft waren nur einige der Themen. Jürgen Bertram ist überzeugt, dass sich China in Zukunft nur über eine Demokratisierung weiter entwickeln könne. Innerhalb des Parteiapparates und der Unternehmen könnten moderate Kräfte tätig werden. Aber die Größe des Landes bereite diesen Gruppen hinsichtlich Kooperation und Koordination enorme Schwierigkeiten. Im Pragmatismus der Chinesen aber läge auch hier die Chance für Veränderungen.

Sigrid Haeder, seit 2007 ehrenamtlich zuständig für diese Veranstaltungsreihe des Vereins KulturTreff, dankte herzlich im Namen der fast 30 Anwesenden. Man habe sich dieses Jahr bewusst von der „Erzählliteratur“ einmal in Richtung „Aktuelles Weltgeschehen“ bewegt. So gab es am 04. April einen Abend mit Wibke Bruhns, erste Nachrichtensprecherin beim ZDF, zu ihrem Buch „Nachrichtenzeit“ und danach am 18. Mai mit Hanni Hüsch zu „So sieht uns die Welt“. Die Husumer Nachrichten berichteten dazu. Dieses war jetzt vorerst der letzte Abend der Reihe vor der Badesaison. Begonnen hatte es 2007 mit Edgar Bessen, Roswitha Quadflieg und Jochen Missfeldt.


Weitere Informationen dazu siehe
www.museum-landschaft-eiderstedt.de / Veröffentlichungen
Husumer Nachrichten
24.05.2014: Die Deutschen: Sparsam, kompliziert und emotional
10.04.2014: Erinnerung an bewegte Zeiten

Siehe auch im Jahrbuch St. Peter-Ording
Februar 2013 Henning Venske
Oktober 2011 Edgar Bessen